Vom 7. bis 17. April wird das Stadtzentrum Santiagos zum Experimentierfeld für Künstler aus Chile und anderen Teilen der Welt: Ihre Arbeiten verwandeln leerstehende Gebäude und öffentliche Plätze in Orte der Begegnung. Dabei setzen sie sich mit gesellschaftlichen Brüchen auseinander, die dort besonders deutlich hervortreten. CHANGING PLACES / ESPACIOS REVELADOS eröffnet damit neue Perspektiven auf das Gemeinwesen und die Bedeutung der Nachbarschaft in Zeiten der Globalisierung.
Das elftägige Programm zeigt Installationen, künstlerische Aktionen und Performances. Es eröffnet für Besucher und Bewohner neue Erfahrungsräume, die Gestaltungskräfte für gesellschaftlichen Zusammenhalt freisetzen. Workshops, Diskussionen und Initiativen, die über den Präsentationszeitraum hinausgehen, bieten eine Bühne für den Austausch über die Zukunft der Stadt und das Potential der Kunst. Nach dem Auftakt der Reihe CHANGING PLACES / ESPACIOS REVELADOS 2014 in Buenos Aires, entsteht das neue Projekt seit Anfang 2015 in Santiago de Chile. Auf Initiative der Siemens Stiftung wird es zusammen mit dem Consejo Nacional de la Cultura y las Artes de Chile, der Fundación Patrimonio Creativo und vielen weiteren Partnern entwickelt.
Im Fokus steht dabei das historische Stadtviertel Yungay. Mitte des 19. Jahrhunderts angelegt, ist es das erste geplante Viertel Santiagos. Das Zusammentreffen von Leerstand und Spekulation, Immigration und sozialer Separation, von Stillstand und Entwicklungsdruck ist heute exemplarisch und fordert zu einem Perspektivwechsel geradezu heraus. In rund zwanzig verlassenen Gebäuden und städtischen Räumen wirken die Künstler in das Viertel hinein und entwickeln Perspektiven auf das Zusammenspiel von kulturellem Erbe, Kunst und Gemeinschaft, die weit über das Viertel hinausreichen.
Einblick in das Programm
Nicolás Grum entwirft aus Gesprächen mit Bewohnern in einem leerstehenden Gebäude ein imaginäres Museum. Angesichts der Frage, was dort auszustellen sei, wird die Komplexität gesellschaftlicher Herausforderungen deutlich, mit denen das Stadtviertel konfrontiert ist. Um die Dringlichkeit des Austauschs dreht sich auch die Arbeit von Iván Navarro & Courtney Smith. Im Herzen des Viertels, auf der Plaza Yungay, entwickeln die beiden Künstler eine performative Skulptur, die Kommunikation möglich macht und Gemeinschaft neu auslotet.
Mit ihren Arbeiten nehmen die Künstler die Fäden buchstäblich in die Hand: So auch in „Pulling Strings“, einer choreographischen Arbeit von Eva Meyer-Keller, die gemeinsam mit chilenischen Künstlern entwickelt wird. Sie nutzen die Umgebung, in der sie agieren, als Fundus. In zwei Gebäuden lassen sie die gefundenen Objekte zu Akteuren werden, die an Fäden zu tanzen beginnen. Damit stellen sie grundlegende Fragen nach unseren Bezügen zur Welt, nach Vernetzung und Zusammenhalt in den Raum.
Die Linie als Beziehungselement durchläuft eine Reihe weiterer Projekte. Auf der Achse einer Metrostation, die vor Kurzem im Viertel gebaut, aber bislang nicht geöffnet wurde, installiert das Raqs Media Collective ein Liniengewirr, mit dem sie einst Metrowaggons im städtischen Transportsystem Koreas durchzogen haben. Ästhetik ist für das indische Künstlerkollektiv der Ausgangspunkt einer sozialen und politischen Reflektion. Unter dem programmatischen Titel „Ask the Person Who Sits Next To You“ stellt ihre Installation Fragen nach Freiheit und Eigenständigkeit.
Der chilenische Komponist Sebastian Jatz wiederum zieht in einem zwölfteiligen Projekt Klanglinien durch die Stadt, einmal mit Menschenketten im öffentlichen Raum, ein anderes Mal in einer Installation mit Gitarren, die im Anschluss der Nachbarschaft überlassen werden.
Mit dem „Acá“, dem Hier und Jetzt, beschäftigt sich Ronald Kay und verweist darauf, dass in seiner Gesellschaft die Bezüge zu den Wurzeln verloren gegangen sind. Seine Installation öffnet das soziale Auge neu und macht dabei vergessene oder verdrängte Orte lebendig. Dabei bezieht er sich unter anderem auf den Plomo, eine heilige Stätte der Inkas. Obwohl der Berg im Sichtfeld Santiagos liegt, ist er völlig aus dem Blick geraten.
Auch der junge brasilianische Künstler Daniel Lie interessiert sich für die „Erinnerung eines Ortes“ und dafür, wie Orte Personen verändern. Mit Früchten verwandelt er ein unbewohntes Haus in einen affektiven Ort der Lebendigkeit und Vergänglichkeit von lebenden Organismen. Ein anderer Ort, der nach einem Brand in Vergessenheit geriet, ist der ehemalige Bahnhof Yungay. Für kurze Zeit lässt ihn Pilar Quinteros mit Grafiteros aus der Nachbarschaft wieder aufleben.
Einen Ortswechsel der ganz anderen Art inszeniert Britt Hatzius. In ihrer Performance „Blind Cinema“ teilen Kinder und Erwachsene einen Erfahrungsraum. Die Kinder sehen, während die Erwachsenen blind bleiben und auf Beschreibungen angewiesen sind. Kinder sind es auch, die in Ant Hamptons „Crazy But True“ durch die Paradoxien dieser Welt navigieren, die Erwachsene ihnen hinterlassen. „Wir sehen alles und nichts“, reflektiert Rabih Mroué einen der Widersprüche im Umgang mit Medienbildern und denkt in seiner Videoarbeit darüber nach, ob digitale Bilder ortlos geworden sind.
Eine Fortsetzung von CHANGING PLACES / ESPACIOS REVELADOS ist im kommenden Jahr in Bogotá geplant.