»Begleiten, ohne zu leiten – das erfordert Präsenz vor Ort und ein hundertprozentiges Involviertsein in alle Abläufe«
Die Kunst zurückzutreten
„Wie viele müssen noch sterben, wie viele noch verschleppt werden?“ Diese Zeile aus dem Song „Droit de vivre“ zwölf westafrikanischer Musiker geht mir nicht mehr aus dem Kopf. Mit ihrer Musik kämpfen sie gegen Extremismus und für den Frieden. Ihre „ Waffe“ ist die Musik. „Sie findet oftmals mehr Gehör als politische Aktionen“, sagt Adé Bantu, ein Sänger der Gruppe. Was die zwölf Männer auf die Beine gestellt haben, gelingt nur wenigen afrikanischen Musikern: eine Zusammenarbeit über Grenzen hinweg. Zwar beschäftigen sich viele Künstler mit ähnlichen Themen, jedoch stießen diejenigen, die professionell arbeiten und Verantwortung übernehmen wollen, immer wieder an Grenzen. Ihnen fehlten Möglichkeiten zur Zusammenarbeit, kritische Berichterstattung und Orte, an denen ihre Musik bekannt gemacht wird.
Warum wir das Online-Portal „Music In Africa“ initiiert haben
Begeisterung und gleichzeitig Ernüchterung gaben 2011 den Anstoß zu „Music In Africa“: Begeisterung für den unglaublichen Reichtum der Musik aus Afrika, die es schafft zu begeistern, aufzurütteln und Menschen zusammenzubringen. Ernüchterung, dass dieses Potenzial viel zu wenig ausgeschöpft wird. Auf einer Konferenz in Johannesburg haben wir deshalb mit Musikern aus ganz Afrika darüber nachgedacht, wie eine Struktur aussehen könnte, die Kreative in Afrika gleichzeitig repräsentiert und stärkt. Das Ergebnis: eine Musikinformationsplattform für den gesamten Kontinent.
Seit November 2015 bietet musicinafrica.net afrikanischen Künstlerinnen und Künstlern nun die Möglichkeit, sich zu vernetzen und fundierte Informationen und Weiterbildungsangebote abzurufen: mit über 18.000 Musiker- und Institutionenprofilen, mehr als 600 Überblickstexten, Musiknews und Lehrvideos. Die Chance, über dieses Portal erstmals in die ganze Vielfalt der Musik aus den verschiedenen afrikanischen Ländern eintauchen zu können, ist faszinierend und vermittelt mehr als Worte das Lebensgefühl und die Stärke Afrikas. „Music In Africa“ ist unser bislang größtes Kulturprojekt.
Was wir auf dem Weg gelernt haben – und immer noch lernen
1. Begeisterung teilen – eine Plattform, verankert auf dem gesamten Kontinent
Zwar hatten unser Kooperationspartner, das Goethe-Institut, und wir bereits erste Ideen, doch ohne die Motivation und Begeisterung der afrikanischen Musiker wäre „Music In Africa“ nie entstanden. Prominente Persönlichkeiten wie Yusuf Mahmoud, der Direktor des Festivals Sauti za Busara auf Sansibar, Mulatu Astatke, der äthiopische Vater des Ethio-Jazz, und die südafrikanische Pianistin Jill Richards haben sich von Anfang an für das Portal eingesetzt. Sie sind auch Teil der sogenannten Reference Group, der 200 Musikfachleute aus ganz Afrika angehören, die das Vorhaben begleiten und unterstützen.
2. Andere stark machen – die Gründung der Music In Africa Foundation
Klar war von Anfang an: „Music In Africa“ kann nur mit afrikanischen Strukturen langfristig aktiv sein. 2013 wurde deshalb die gemeinnützige Music In Africa Foundation gegründet. Als Sitz der panafrikanischen Non-Profit-Organisation wählten wir aufgrund der notwendigen Rechtssicherheit Südafrika. Mit dem Geschäftsführer Edington Hatitye, Musiker und Kulturmanager aus Simbabwe, fing alles zunächst klein an. Inzwischen gehören zum Team 14 feste Mitarbeiter. Mit Regionalbüros in Johannesburg, Kinshasa, Dakar, Lagos und Nairobi und einem jährlichen Budget von 300.000 Euro sind sie verantwortlich für den Aufbau und Betrieb von „Music In Africa“.
3. Netzwerke wachsen lassen – Chancen und Grenzen der Digitalisierung
Über 120 französisch- und englischsprachige Autoren aus ganz Afrika tragen regelmäßig dazu bei, Wissen, das bislang nur regional verankert war, für alle zugänglich zu machen. Das Internet eröffnet Wege selbst in Krisenregionen, die wir mithilfe des Auswärtigen Amtes erreichen. Aus anderen Projekten unserer Stiftung wissen wir, dass Online-Netzwerke erst im Zusammenspiel mit realem Erleben ihre volle Wirkung entfalten. Deshalb organisiert die Music In Africa Foundation auch Konzerte, Konferenzen und Workshops, z.B. zu Kulturmanagement oder Instrumentenbau. Dort wird oft bis in die frühen Morgenstunden musiziert – und so machen Menschen aus unterschiedlichsten Kulturen mit ihren Melodien, Rhythmen und Musikinstrumenten gemeinsame Sache.
4. Begleiten, ohne zu leiten – Präsenz weit über Projektmeetings hinaus
Organisationsaufbau, Mitarbeiterentwicklung, Autoren- und Partnersuche, rechtliche Themen: Bei all diesen Schritten wirken unser Projektleiter Jens Cording und Noemie Njangiru, seine Kollegin beim Goethe- Institut Johannesburg, mit. „Begleiten, ohne zu leiten“ ist dabei das Motto. Das erfordert Präsenz vor Ort und ein hundertprozentiges Involviertsein in alle Abläufe. Mit reinen Geldüberweisungen ist es nicht getan. Die Herausforderungen sind zahlreich und liegen häufig jenseits von technischen oder organisatorischen Fragen. Kriege, Gewalt und Krankheiten verlangen oftmals danach, Projektpläne hintanzustellen und sich um ganz existenzielle Dinge zu kümmern.
5. Zurücktreten – Wege in die Eigenständigkeit
Heute ist „Music In Africa“ mit 160.000 Nutzerinnen und Nutzern monatlich die aktivste Kulturplattform Afrikas. Namhafte afrikanische Institutionen unterstützen mittlerweile Teilprojekte. Der nächste und sicherlich schwierigste Schritt kommt aber erst: die Plattform finanziell auf eigene Beine zu stellen. Hier ist Kreativität gefragt, nicht alle Ansätze fruchten sofort. Von Werbung über Fundraising bis hin zu Mikrospenden und Veranstaltungseinnahmen wird eine Vielzahl von Finanzierungsmodellen getestet. Wir haben uns vorgenommen, die Plattform zu begleiten, bis im Jahr 2022 Informationen zu allen 54 Ländern Afrikas online sind. Die Prognosen sind gut, doch der Ausgang ist offen.
Was wir uns für die Zukunft von „Music In Africa“ wünschen
Oktober 2017
Dieser Artikel ist erstmals erschienen in der StiftungsWelt 3/2017.