»Der Teamgeist von uns Frauen hat mich enorm inspiriert. Es liegt so viel Selbstermächtigung darin, Wissen zu teilen.«
Diversität klingt gut
In der Musikindustrie klafft ein Gender-Gap. Nicht nur Musikerinnen, sondern auch Produzentinnen, Tontechnikerinnen und Managerinnen sind weltweit unterrepräsentiert. Mit der Workshop-Reihe Gender@Work bereitete die Music In Africa Foundation 2022 schon zum dritten Mal junge Frauen aus ganz Afrika auf eine Karriere in der Musikbranche vor und vermittelt Kompetenzen und Selbstbewusstsein im Kampf gegen weit verbreitete Vorurteile.
„Ich sehe zwar öfter mal Frauen als Backgroundchöre oder Sängerinnen auf der Bühne. Aber auf der technischen Seite? Nein, da bin in neun von zehn Fällen die einzige weibliche Person, die Keyboards herumrollt und Mikrophone kontrolliert.“ Esther Noella Okello mag mit ihren schmalen Schultern, manikürten Fingernägeln und dem fein geschnittenen Gesicht in der Männer-und-Macker-Welt der Bühnentechnik immer noch wie ein Einhorn wirken – doch hier bei der ACCES Musikkonferenz in Daressalam, Tansania, ist die 28-jährige Kenianerin nur eine von insgesamt 14 jungen Frauen, die sich für die einstige Männerdomäne fit machen. „Der Teamgeist von uns Frauen hat mich enorm inspiriert“, sagt ihre Kollegin Ruth Bogale, eine 33-jährige Konzertveranstalterin aus Äthiopien. „Es liegt so viel Selbstermächtigung darin, Wissen zu teilen.“
Esther, Ruth und ihre Kolleginnen haben gerade die Technik des Open-Air-Venues Brake Point Makumbosho gecheckt. Trotz Regen wird auch Sholo Mwamba, ein tansanianischer Superstar und der letzte Act eines dreitägigen ACCES Live-Programms pünktlich auf die Bühne kommen, Sound und Licht sind präzise aufeinander abgemischt. Und auch das Bühnenmanagement, also Verkabelung, Handtücher, Trinkflaschen, Ablaufpläne wie das Briefing der Musiker sind in kompetenter Hand. Ein Konzert, dessen Technik ausschließlich von Frauen gemanagt wird – in Afrika ein Novum. „Unsere Workshop-Teilnehmerinnen haben so ein Selbstbewusstsein entwickelt“, schwärmt die Workshop-Leiterin Carine Tredgold, „sie geben einfach alles, um als Frauen in der Musikindustrie eine Chance zu bekommen“.
Gender@Work heißt der von der Siemens Stiftung im Rahmen der Initiative „Music In Africa“ finanzierte Workshop: Eine Woche lang vertiefen hier weibliche Sound-Ingenieure und Tontechnikerinnen, angeleitet von zwei Trainerinnen aus Zimbabwe und Dänemark, ihr Wissen. Theoretisch und praktisch. Vor allem aber haben die meisten zum ersten Mal einen geschützten Ort zum Lernen: „Das Training hat mir viel Mut gemacht“, sagt Esther. „Wenn du keinen Mann im Raum hast, kannst du ganz anders über deine Herausforderungen als Frau sprechen. Alle sagen dann: Ja, ich verstehe dich, ich habe das selbst durchgemacht. Das erzeugt so eine positive, liebevolle und heilende Energie. Ich hatte zum ersten Mal das Gefühl, alles fragen zu dürfen. Das war wunderbar.“
Gender@Work: Workshops und Vernetzung für mehr Diversität und Gleichberechtigung im afrikanischen Musiksektor
Das Projekt, sagt Jens Cording, Mitbegründer der Music In Africa Foundation, sei bereits in die dritte Runde gegangen. Gegründet wurde es 2019 bei der ACCES Konferenz in Ghana. „Die Initiative kam von den afrikanischen Musikerinnen: Auch ihre Kolleginnen hinter der Bühne bräuchten Vorbilder und Ermutigung – denn sie müssten noch immer für ihren Platz kämpfen.“
Entsprechend sind die Ziele von Gender@Work: Neue Perspektiven für Frauen im Musikbusiness in Afrika zu entwickeln, nachhaltige Arbeitsplätze zu schaffen, neue Technologien und umweltfreundliche Strategien zu nutzen. Das entspricht der Mission der Siemens Stiftung, Diversität, Gleichberechtigung und Teilhabe zu fördern. „Wir haben mit Trainingsprogrammen wie Gender@work verstanden, dass es nicht reicht, Frauen nur Fertigkeiten für bestimmte Berufe beizubringen“, sagt Nina Smidt, Vorständin der Siemens Stiftung, „sie brauchen auch eigene Netzwerke. Orte, wo sie sich gegenseitig unterstützen können: Wie mache ich es denn jetzt? Wie boxe ich mich durch? Wo kann ich mir Rat und Hilfe holen?“
Die Ausschreibung für den Workshop hatte junge Frauen in ganz Afrika adressiert. Einzige Bedingung: Sie sollten über mindestens zwei Jahre Erfahrung im Konzertbusiness oder verwandten Arbeitsfeldern verfügen. 200 Kandidatinnen hatten sich diesmal auf die 14 Plätze beworben. Ein Beweis, wie dringend notwendig dieses Programm ist. Im Mittelpunkt, erklärt Trainerin Carine Tredgold, stehe das Bühnenmanagement, daneben würden verschiedene Module einen Überblick über Bereiche wie Sound- und Tontechnik geben.
„Mit dem Grundwissen, das wir ihnen verschaffen, können sie später auch ohne uns ihre Fertigkeiten verfeinern“, erklärt Tredgold. Das Projekt gibt den Teilnehmerinnen dafür nicht nur Tutorials und Best Practice Beispiele zur Hand. Die jungen Frauen bleiben auch nach dem Ende ihrer Fortbildung mit ihren Mentorinnen in Kontakt, bekommen Jobs und Praktika vermittelt. Tredgold jedenfalls kann auf eine Erfolgsgeschichte zurückblicken: Einige frühere Teilnehmerinnen seien inzwischen professionell für ACCES Konferenzen und große Musikfestivals in Afrika engagiert. Inwiefern lässt sich die Situation der jungen Afrikanerinnen mit der ihrer westlichen Berufskolleginnen vergleichen?
Zwar gäbe es auch noch in Europa Ungerechtigkeit zwischen den Geschlechtern, sagt Tredgold. „Doch diese Mädchen hier kämpfen gegen ganz andere Widerstände.“ Viele der angehenden Bühnen- und Soundtechnikerinnen hätten den Beruf gegen den Willen der Eltern gewählt. Sie hätten sich dann mehrfach durchsetzen müssen. Zunächst gegen ihre eigene Familie. Und später dann noch einmal gegen die Vorurteile der männlichen Kollegen. „Bei vielen, die bereits eine Ausbildung in Sound Engineering gemacht haben,“ sagt Tredgold, “sehe ich große Lücken in der Umsetzung ihres Wissens. Das liegt auch daran, dass sie sich scheuen, die Männer zu fragen. Weil es dann schnell heißt: Frauen und Technik!“
Esther Noella Okello kennt diesen Spruch zur Genüge. „Ich habe immer davon geträumt, eine Tontechnikerin zu werden. Aber als ich mich auf einer Schule bewerben wollte, sagten meine Eltern: Tontechnik? Das klingt doch eher wie ein Hobby. Studiere erstmal was Anständiges, dann kannst du das noch später machen“. Folglich absolvierte die junge Kenianerin erstmal ein Studium des Kriminalrechts, arbeitete jahrelang als Rechtsanwältin für eine Kinderschutz-Initiative in Nairobi, bevor ihre Familie ein Einsehen hatte. „Sie brauchten fünf Jahre, um zu kapieren, dass ich an meinen Wochenenden nicht einfach Party machte. Sondern als Soundtechnikerin arbeitete. In einem seriösen Beruf.“
So wie Esther sind auch ihre Workshop-Kolleginnen gut ausgebildet. Aber viele haben sich lange nicht getraut, ihre Leidenschaft für das Musikbusiness zu leben. Weil es immer wieder hieß, das sei doch nichts für Frauen. So wie etwa Bridget Shumba. „Mir fiel auf“, sagt die 28-jährige Anthropologin aus Malawi, „dass es in meinem Heimatland zwar viele Kulturfestivals und Musikunternehmen gibt, aber fast keines von Frauen geleitet wird. Was bedeutet das für unsere junge weibliche Generation, wenn sie überhaupt keine Vorbilder hat?“ Bridget wollte das ändern. Und Frauen auch hinter der Bühne ihren Platz verschaffen. Doch sie fand in Malawi keine einzige Ausbildungsstätte für Musikmanagement, Bühnen- oder Soundtechnik. Ihr blieb als einzige Möglichkeit, als Freiwillige bei verschiedenen Konzerten und Festivals auszuhelfen. Die meisten wurden von Männern geleitet.
„Oft schauten sie mich an und fragten mich: Bist du sicher, dass du das machen willst? Und wenn sie mir doch etwas anboten, dann bezahlten sie mir im Gegensatz zu Männern, die denselben Job verrichteten, nichts. Das ließ mich mit Gefühlen der Machtlosigkeit und Wut zurück.“ Bridget suchte nach einer Möglichkeit, etwas auf diesem Feld für Frauen zu ändern. Als sie die Ausschreibung für die Fortbildung im Rahmen von ACCES sah, habe es sie „weggeblasen“. Weil sie schon so lange von dieser Chance geträumt habe, die ihr Land und ihr Bildungssystem nicht für sie vorgesehen hatte.
Erfahrungen wie die von Esther und Bridget seien in Afrika leider immer noch die Regel, sagt Maimouna Dembélé, die Vorsitzende der Music In Africa Foundation. Gerade deshalb seien die Gender@Work-Workshops so wichtig. „Wenn ich heute rund um die Bühne ein, zwei Dutzend junge Frauen arbeiten sehe, dann macht mich das außerordentlich glücklich.“ Sie bräuchten neben einer soliden Ausbildung vor allem Vorbilder. Dazu dienten Treffen mit im Musikbusiness bereits erfolgreichen Frauen, um mit diesen offen über die Herausforderungen ihres Berufs, über Chancen aber auch mögliche Fehler zu diskutieren. „Unsere Teilnehmerinnen sollen wissen, dass nur der Himmel sie in ihrem Wachstum begrenzen kann.“
Eddington Hatitye
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