Wie Bildung gelingen kann
Bildungsforscher Manfred Prenzel im Gespräch über Begeisterung für Naturwissenschaften und darüber, wie Bildung gelingen kann.
Herr Prenzel, Sie haben sich intensiv mit der Pädagogik der Naturwissenschaften beschäftigt. Gab es in Ihrer eigenen Schulzeit ein Erlebnis, das Sie nachhaltig geprägt hat?
Mich haben die Naturwissenschaften immer stark gereizt, aber der Unterricht war in der Regel doch eher ernüchternd. Ich erinnere mich zum Beispiel, dass wir mal als Höhepunkt des Unterrichts eine Kakerlake seziert und dann den linken Oberschenkel unter dem Mikroskop betrachtet haben. Das war für uns schon ein großes Ereignis! (lacht) Das eigentlich Entscheidende hat aber auch bei diesem Beispiel gefehlt: Es wurden keine Forschungsfragen gestellt. Weder durch die Lehrkraft noch durch uns. Niemand hat gefragt, warum wir das machen oder welche Erkenntnis wir uns davon versprechen.
Wie würden Sie vor diesem Hintergrund guten Unterricht definieren?
Das lässt sich am besten vom Ende her bestimmen: »Gut« ist der Unterricht dann, wenn die Schüler das gelernt haben, was Lehrplan und Lehrkraft angestrebt haben, wenn die Schüler die Lehr- und Lerninhalte verstanden haben, wenn sie begeistert sind und wenn sie die Lösungen und Erkenntnisse in ihren Alltag übertragen und mit ihrem Leben verbinden können. Das Ergebnis ist das Entscheidende – und es gibt fast immer verschiedene Wege, zu diesem Ziel zu gelangen.
Darauf kommt es wirklich an?
Ja, durchaus. Meines Erachtens ist Zielklarheit besonders wichtig: Die Schüler sollten am Anfang einer Unterrichtseinheit erfahren, worum es geht, warum das wichtig ist und was sie verstehen und am Ende können sollen. Und als Zweites ist es wichtig, dass das Lernen kontinuierlich begleitet wird. Die Lehrkräfte müssen die Augen offen halten, um festzustellen, wann Schüler mit dem Stoff Probleme haben. Und bei dieser Lernbegleitung geht es natürlich auch um das soziale Klima. Die Schüler sollen sich angenommen und respektiert fühlen, auch wenn sie vielleicht etwas noch nicht können. Und schließlich ist es wichtig, dass die Lehrkräfte die Eigenaktivität ihrer Schüler unterstützen, damit die Schüler das Lernen gewissermaßen selbst in die Hand nehmen.
Bildung, so heißt es, sei der Schlüssel für Innovation. Lässt sich durch Bildung Innovation fördern?
Bildung ist eine notwendige Voraussetzung für Innovation jeder Art, aber keine hinreichende. Eine Bildung, in der Wert auf Eigenständigkeit und Kreativität gelegt wird, schafft bessere Voraussetzungen dafür, innovativ zu werden, als eine eng vorschreibende und dogmatisch ausgelegte Version von Bildung.
Kann Bildung an sich schon eine soziale Innovation sein?
Wenn alle einen Zugang zu einer wie gerade beschriebenen Bildung haben, ist das für mich schon mal eine soziale Innovation. Und zweitens sollte Bildung den Menschen und ihren Talenten Rechnung tragen. In Deutschland zum Beispiel tun sich Kinder mit Stärken im handwerklich-gestalterischen Bereich in der Schule schwer, weil Schule bei uns stark analytisch geprägt ist. Schule sollte aber für verschiedene Talente offen sein. Vor allem aber sollte Bildung die soziale Dimension von Wissen deutlich machen: Erkenntnisse sind meistens nicht von irgendwelchen einsamen Forschern erarbeitet worden. Forschung schließt an die Erkenntnisse von anderen an und ist zu einem großen Teil Teamarbeit. Nur im Miteinander können Fragen beantwortet, kontroverse Diskussionen geführt und Ergebnisse erzielt werden. Wenn die Stärke des gemeinsamen Arbeitens erfahren wird, schafft das zugleich eine neue Sicht auf das Soziale, auf das Zusammenleben und Zusammenarbeiten. Deshalb sind tatsächlich Bildung und soziale Innovation eng miteinander verflochten.
Mai 2015