»Music In Africa ist wie ein Magnet, der wächst und wächst, und immer mehr Leute aus der Musikbranche anzieht.«
„Wir gehören zur DNA der afrikanischen Musik!“
Das panafrikanische Musiknetzwerk Music In Africa bringt seit 2013 Musikschaffende aus ganz Afrika zusammen. Der Puls des Netzwerks schlägt permanent im Web. Welche Schlagkraft es jedoch hat, wenn Kreative des gesamten Kontinents an einem Ort zusammenkommen, beleuchtet unser Bericht zur ACCES-Konferenz 2022.
„Wir gehören zur DNA der afrikanischen Musik!“ Als Eddie Hatitye diesen Satz sagt, ist das Lächeln in seinem Gesicht nicht zu übersehen. Es ist Samstagmittag, der letzte Tag der einzigen panafrikanischen Musikkonferenz ACCES. Im Foyer des Julius Nyerere International Convention Centre brummt es wie im Bienenschwarm. Die Bandbreite der Angebote, der verschiedenen Panels, Workshops und Symposien. Die Stimmung ist gelöst und heiter. Erleichterung ist auch bei Eddie Hatitye spürbar. Als Geschäftsführer von Music In Africa ist er verantwortlich für die ACCES 2022 in Daressalam und seit Februar mit deren Verwirklichung in Tansanias größter Metropole beschäftigt.
Die Themen, die uns beschäftigen, werden immer vielfältiger.
Jedes Jahr Ende November veranstaltet Music In Africa die dreitägige Konferenz – immer in einem anderen afrikanischen Land. Das fordert alljährlich das Aufbauen neuer Kontakte, die Akquise neuer lokaler Kooperationspartner*innen und das Vernetzen aller beteiligten Akteur*innen vor Ort. Dass jetzt alles so gut klappt, die vielen Rädchen ineinandergreifen, um eine solche Konferenz, die weder in dieser Form noch Art in Ostafrika je stattgefunden hat, zu stemmen, darüber sei er sehr froh und dankbar: „Man sieht jetzt, was es heißt, auf ein gutes Netzwerk, das wir über Jahre aufgebaut haben, zurückgreifen zu können. Und es ist unglaublich. Music In Africa ist wie ein Magnet, der wächst und wächst, und immer mehr Leute aus der Musikbranche anzieht. Auch die Themen, die uns beschäftigen, sie werden immer vielfältiger.“
Die weite und luftige Architektur des Gebäudes unterstreicht zudem die Bedeutung dieser Konferenz, ja sie macht sie sichtbar zu einem wichtigen Ereignis. „Jetzt werden wir auch von Regierungen wahrgenommen. Für die ACCES in Daressalam hat uns das tansanische Kunst- und Kulturministerium massiv unterstützt. Mehr und mehr staatliche Behörden auf dem ganzen Kontinent interessieren sich für die Arbeit von Music in Africa, und das ist einfach großartig”, bemerkt Maimouna Dembélé aus dem Senegal, Vorständin der Music In Africa Foundation. Ihr großer Wunsch hat sich verwirklicht, nachdem aufgrund der Corona-Pandemie 2021 nur eine sehr eingeschränkte Ausgabe der ACCES in Johannesburg möglich war und die Konferenz 2020 komplett ausfallen musste: in diesem Jahr kommen die Akteur*innen der afrikanischen Musikkultur und Musikindustrie wieder physisch zusammen. Die ACCES wird zum Herzstück eines panafrikanischen Musiknetzwerks, wo sich Menschen gegenüberstehen und in die Augen schauen. Und der Puls dieses Herzen schlägt permanent im Web.
„Vernetzung ist das Schlüsselwort, das die Arbeit von Music In Africa beschreibt. Wir wollen, dass sich aus jedem afrikanischen Land Menschen, die mit Musik zu tun haben, begegnen können.“ Und Maimouna Dembélé fügt hinzu, dass der physischen Präsenz während der ACCES 2022 in Daressalam seit Jahren ein enormer Prozess der digitalen Vernetzung vorausging. Ohne den hätte Music In Africa nicht diesen Erfolg. Genau das ist auch für Jens Cording von der Siemens Stiftung der springende Punkt: „Seit Beginn unserer Unterstützung von Music In Africa war der Gedanke einer vernetzten Gesellschaft die zentrale Frage, die wir uns als Mitwirkende gestellt haben.”
Und gerade während der Corona-Pandemie haben sich die langjährigen Vernetzungsstrategien als goldrichtig erwiesen. Darüber hinaus wurden die Kommunikation und Präsenz im Digitalen weiter ausgebaut. Dazu wurde beispielsweise die Initiative Music In Africa Live entwickelt, in der sich Musiker*innen dank eines Stipendiums professionell präsentieren und ein marktfähiges Produkt anbieten können. Das, was vorher in irgendwelchen privaten Räumen mit Hilfe der Handykamera als Live–Performance „in Hausschuhen und Trainingshose“ ins Netz gestellt wurde, wird nun als echte digitale Bühne wahrgenommen und dementsprechend künstlerisch bespielt. In einem zweiten Schritt soll der Musiker, die Musikerin von der Online-Präsenz im analogen Konzertleben profitieren und einen Transfer des Publikums herstellen.
Ein weiterer Pluspunkt des Netzwerkes von Music In Africa ist die jüngste Studie über das tatsächliche Einkommen von Musiker*innen in Südafrika. 3.000 Künstler*innen haben mitgewirkt und Auskunft darüber gegeben, woher sie täglich ihr Einkommen erzielen. Das Ergebnis stimmt Jens Cording nachdenklich: einerseits kann man kaum als Musikerin, als Musiker einzig von Konzertauftritten überleben. Mehrere Jobs sind der Alltag: als Musiklehrer*in, Studiobetreiber*in, Produzent*in und oftmals auch Tätigkeiten in anderen musikfernen Branchen. Andererseits ist der Verdienst über Streamingdienste häufig sehr gering. Daher stellt er sich die Frage, inwiefern Music In Africa dazu beitragen kann, dass zukünftig durch die starke Vernetzung auch online ein Einkommen für die Musiker*innen möglich wird.
Studie: „Revenue Streams for Music Creators in South Africa“
Die Studie ist Teil des Projektes Revenue Streams for African Musicians, das neben relevanten Informationen auch Weiterbildungsmöglichkeiten für afrikanische Musiker*innen anbietet.
Als großen Vorteil sieht der langjährige Wegbegleiter die momentane Offenheit der afrikanischen Musikszene: „Was ich hier erlebe, gerade auf der ACCES-Konferenz, ist, dass die lokalen Akteur*innen sehr daran interessiert sind über Grenzen hinweg zusammenzuarbeiten. Da haben wir zum Teil in Europa härtere Grenzen, gerade im kulturpolitischen Bereich. Wir sehen, dass viele Staaten inzwischen auch eine große Chance und großes Kapital sehen, was sie an Künstler*innen dahaben. Das Verständnis kommt langsam, aber es kommt.“ Inzwischen ist Music In Africa in allen 54 Ländern Afrikas präsent und wird täglich von mehreren tausend Besucher*innen im Digitalen angeklickt. Im Monat tummeln sich 500.000 Einzelnutzer*innen auf der Online-Plattform, um sich beispielsweise über ihre Urheberrechte und Einkommensmöglichkeiten in Streamingdiensten oder über Fördermöglichkeiten und Stipendien zu informieren. Produzent*innen, Musikmanger*innen und Künstler*innen finden Wege, um einander zu kontaktieren.
Wir verstehen vernetzte Gesellschaften auch als eine kritische Reflektion.
Dass sich seit Jahren für Music In Africa als aktiver Player so viel im Netz abspielt, ist für die Vorständin der Siemens Stiftung Dr. Nina Smidt global gesehen ein klarer Vorsprung. Afrika sei ein riesiger Kontinent, den man mit wenigen Mausklicks erreichen könne. Music In Africa biete ein großes Netzwerk für kreativ Musikschaffende. Generell beschäftigt sie die Frage, welche Möglichkeiten jetzt in der verstärkten digitalen Vernetzung liegen, allerdings auch welche Risiken. „Wir verstehen vernetzte Gesellschaften auch als eine kritische Reflektion, um zu hinterfragen, wie gehen wir miteinander um? Welche Bedeutung nehmen persönliche Kontakte, das direkte Zusammenkommen ein? Was verlagert und verändert sich vielleicht auch durch dieses Hineintreten in den digitalisierten Raum?“
Während ihres Besuchs der ACCES 2022 in Daressalam spüre Nina Smidt deutlich, dass sich eben nicht alles digital abbilden ließe. Online sei nicht dasselbe wie der direkte Kontakt, das Zusammenkommen auf der Konferenz, wo man sich inspirieren lasse, neue Informationen bekäme und auch die tollen Konzerte live erlebe. „Deswegen müssen wir als Siemens Stiftung in Zukunft schauen, was können wir über Plattformen machen, um mehr Menschen zu erreichen und mitzunehmen. Aber auch gleichzeitig fragen: was sind die ganz wichtigen Räume für die persönliche Begegnung, für den persönlichen Austausch und was sind die besonderen Herausforderungen gerade in Afrika für ein Netzwerk wie Music In Africa und die vernetzte Gesellschaft.“
Eddington Hatitye
+27 10 140 1317