MINTplus
MINT-Kompetenzen für das
21. Jahrhundert
Als Siemens Stiftung setzen wir mit MINTplus auf einen interdisziplinären Ansatz, der Fachwissen aus den MINT-Fächern (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften, Technik) mit den Kompetenzen des 21. Jahrhunderts verbindet. In diesem Artikel beschreiben Prof. Dr. Kristina Reiss (TUM School of Education) und Dr. Barbara Filtzinger (Siemens Stiftung) den Ansatz.
MINTplus – Basis einer Bildung im 21. Jahrhundert
Den MINT-Fächern kommt in unserer zunehmend technologiebestimmten Welt eine besondere Rolle zu. Es gilt daher, Kinder und Jugendliche gerade im Schulunterricht gezielt in die Grundlagen einzuführen. Dabei darf es allerdings nicht nur um deklaratives Wissen, um Begriffe und abfragbare Fakten gehen. Vielmehr ist es wichtig, ihre Motivation und ihr Interesse zu wecken, sie über das eigene Handeln Wissenschaft erfahren zu lassen, sie zu eigenen Experimenten, zum kritischen Hinterfragen und zur Diskussion der Ergebnisse anzuregen. Genauso sind die MINT-Fächer in ihrer gesellschaftlichen Rolle zu sehen, die mit einer besonderen Verantwortung im Hinblick auf die Konsequenzen des Handelns verbunden ist. Auch hier müssen Kinder und Jugendliche Erfahrungen machen können, die sie auf eine Teilhabe an der Gesellschaft vorbereiten. Dazu gehört es dann, offen für kreative Wege auch außerhalb der eigenen Umgebung zu sein, diverse Aspekte von Wissen zu prüfen und unterschiedliche Kulturen zu respektieren. Es reicht entsprechend nicht, bei den fachbezogenen Aspekten von MINT stehen zu bleiben. Vielmehr braucht es einen ganzheitlichen Ansatz und dieser verbirgt sich hinter dem Kürzel MINTplus.
Die Herausforderung
Vor fünfzig Jahren hat der Club of Rome mit der vielbeachteten Publikation „Grenzen des Wachstums“ (Meadows, Meadows, Randers, & Behrens, 1972) vor den Folgen des unkontrollierten Wachstums der Weltbevölkerung, der mangelnden Ernährung der Menschen, der fortschreitenden Industrialisierung, der Ausbeutung der Reserven an Rohstoffen und der Zerstörung des Lebensraums gewarnt. Als Grundlage dienten computerbasierte Simulationen, die unterschiedliche Szenarien berücksichtigten. Wir wissen inzwischen aus anderen Studien, wie gut die Prognosen waren und dass die aktuellen Entwicklungen – beispielsweise der Bevölkerungszahlen – durchaus dem Standardszenario des Berichts entsprechen (Turner, 2014). Auch wenn der Bericht sehr aufmerksam zur Kenntnis genommen wurde, passierte in der Konsequenz weltweit relativ wenig zum Schutz der Umwelt und damit der Menschen.
»Für die großen Probleme brauchen wir globale Lösungen und ein Einvernehmen zwischen unterschiedlichsten Sichtweisen.«
Inzwischen sind die Probleme keinesfalls weniger geworden. Wir haben in den letzten Jahren sehr deutlich zur Kenntnis nehmen müssen, dass der Klimawandel mehr oder minder alle Regionen der Erde bedroht und erleben etwa Hitze- und Dürreperioden oder das Abschmelzen von Polkappen und Gletschern mit der Folge des Ansteigens der Meeresspiegel. Auch die Erfahrung, wie stark Gesundheit und Leben vieler Menschen durch eine Pandemie bedroht werden können, ist derzeit sehr präsent.
Die Gefahren durch den Wandel unserer natürlichen Umwelt stellen zentrale Herausforderungen des 21. Jahrhunderts dar, mit denen diese genauso wie die nächste Generation umgehen muss. Im Vergleich zum Stand vor fünfzig Jahren sind allerdings auch veränderte Randbedingungen zu beachten. So ist die Globalisierung noch einmal deutlich vorangeschritten. Damit verbunden sind Risiken, doch genauso bietet sie auch Chancen, die es zu nutzen gilt. Wir wissen besser denn je, dass wir für die großen Probleme globale Lösungen und dafür eine Abstimmung und ein Einvernehmen zwischen unterschiedlichsten Sichtweisen, Voraussetzungen, Einschätzungen auch unter Berücksichtigung der jeweiligen Betroffenheit brauchen. Ein weiterer wichtiger Faktor ist die zunehmende Digitalisierung, die ebenfalls Risiken birgt, aber – richtig genutzt – genauso Möglichkeiten des wirksamen Umgangs mit Problemen eröffnet. Auch hier gilt es, umfassend zu denken und eine Kultur der Digitalität zu implementieren und zu nutzen.
»Es muss Ziel der Bildung sein, einen aktiven Beitrag zu Lösungsansätzen zu leisten. «
Es ist offensichtlich, dass Lösungen für übergreifende Problemstellungen nicht nur durch eine kurzfristige Politik angegangen werden können, sondern sehr langfristig bedacht werden müssen. Hier setzt nun die Rolle der Bildung ein. Es muss ihr Ziel sein, einen aktiven Beitrag zu Lösungsansätzen zu leisten. Sie muss gewährleisten, dass die junge Generation nach dem Stand des Wissens dafür die bestmögliche Ausbildung bekommt und auf die Herausforderungen vorbereitet wird. Verschiedene Organisationen haben sich auf den Weg gemacht, dazu einen Beitrag zu leisten. Die Vereinten Nationen definierten 2015 Ziele für eine nachhaltige Entwicklung und stellten dabei auch die Bildung ins Zentrum (Vereinte Nationen, 2015). Lesen und Mathematik wurden explizit als Grundlagen angesprochen, aber letztendlich eine umfassendere „Quality Education“ als Ziel genannt. Erläutert wird das in der „Agenda Bildung 2030“ (UNESCO, 2015). Darin wird angeführt, „bis 2030 für alle Menschen inklusive, chancengerechte und hochwertige Bildung sowie Möglichkeiten zum lebenslangen Lernen sicherzustellen“. Eine ähnliche Tendenz zeigt auch der Bericht der International Commission on the Futures of Education (UNESCO, 2021), die von der UNESCO eingerichtet wurde. Ein Fokus liegt hier auf einem Lernen, das ökologisch, interkulturell und interdisziplinär ausgerichtet ist, Handlungsmöglichkeiten vermittelt und unter einer internationalen Perspektive betrachtet wird. Explizit geht es hier darum, Bildung und Erziehung so umzugestalten, dass eine nachhaltige Zukunft in gerechten und friedlichen Gesellschaften möglich wird.
OECD Lernkompass
Der Lernkompass 2030 zeigt, was Schüler*innen benötigen, um zur Gestaltung einer nachhaltigen Zukunft aktiv beizutragen
Sehr konkret auf Bildung bezogen stellte die OECD im Jahr 2019 mit dem Lernkompass 2030 ein Rahmenkonzept für Lernen vor, das auf wesentliche Kompetenzen in einer sich stetig ändernden Welt gerichtet ist. Es benennt dabei auch Ebenen des Lernens, aus denen deutlich wird, wie umfassend Bildung gedacht werden muss. Selbstverständlich ist die Aneignung von Wissen („learning to know“) ein zentraler Aspekt, aber das alleine genügt nicht. Hinzu kommen das Lernen des Handelns („learning to do“), das insbesondere als Problemlösen gesehen wird und zu dem kritisches Denken genauso wie die Fähigkeit zur Kooperation gehört, der Erwerb von sozialen und interkulturellen Kompetenzen, von Eigenverantwortung und Selbstregulation („learning to be“) und das Lernen des Zusammenlebens („learning to live together“), das auch den Umgang miteinander in einem globalen, digital geprägten und politischen Kontext umfasst (OECD, 2019, mit Bezug zu Scott, 2015). Die Zielsetzungen berücksichtigen außerdem die Vorgaben der Vereinten Nationen für eine nachhaltige Entwicklung und umfassen unter anderem Bereiche wie Sicherheit, Gesundheit, zivilgesellschaftliches Engagement oder die Umwelt (OECD, 2019).
Auch wenn gerade die Publikation der OECD deutlich macht, dass Lernen und Bildung nicht nur auf die Schule beschränkt werden können, sondern sich als eine gesellschaftliche Aufgabe darstellen, kommt dieser Institution eine besondere Bedeutung zu. Das Lesen oder eine Sprache lernt man vielleicht noch im häuslichen oder im sonstigen privaten Umfeld, Mathematik oder Naturwissenschaften eher nicht. Darüber hinaus verlangt es die Chancengerechtigkeit, dass allen jungen Menschen unabhängig von ihrer Herkunft gute Bildungsgelegenheiten angeboten werden. Damit liegt die Verantwortung für die Umsetzung auf Ebene der Politik. Es gilt, im öffentlichen Bereich und damit vorwiegend in den Schulen dafür zu sorgen, dass eine Bildung angeboten wird, in der die formulierten Ziele erreicht werden können.
Die spezifische Rolle der MINT-Fächer
Was sind Voraussetzungen, um die Herausforderungen anzugehen? Es ist unbestritten, dass der Bildung dafür eine zentrale Rolle zukommt. Die Komplexität der Aufgaben erfordert die Kooperation gut ausgebildeter Menschen, die kreativ nach Lösungen suchen und dabei den aktuellen Stand der Wissenschaft einbringen können. Aber selbstverständlich geht es nicht darum, dieses Wissen in einem engen Zirkel zu halten. Vielmehr müssen sinnvolle und notwendige Maßnahmen auch in einem gesellschaftlichen Kontext diskutiert, akzeptiert und getragen werden. Dafür ist die Bildung aller Mitglieder der Gesellschaft eine wichtige Voraussetzung.
Insbesondere ist mit Blick auf die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts die MINT-Bildung, also das Wissen um Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik von zentraler Bedeutung. Die Mathematik bildet generell die Basis der anderen Gebiete, und das nicht nur, wenn es um Berechnungen geht. Sie ist mitnichten eine Hilfswissenschaft. So hat etwa die COVID19-Pandemie nachdrücklich gezeigt, wie bedeutsam das Wissen um Statistik und den rationalen Umgang mit Unsicherheit ist. Auch mathematische Modellierungen sind ein wichtiges Werkzeug im Umgang mit realen Anforderungen (man vergleiche etwa die bereits erwähnte Publikation „Grenzen des Wachstums“). Die Mathematik ist insbesondere Grundlage der Informatik, deren zentraler Stellenwert im digitalen Zeitalter nicht betont werden muss. Auch hier ist ein Grundwissen hilfreich, so etwa, wenn es um den kritischen Gebrauch digitaler Technik geht. Die Fortschritte in den Naturwissenschaften haben gerade in den letzten Jahrzehnten mehr und mehr den Alltag geprägt, beispielsweise im Bereich von Gesundheit oder Ernährung. Schließlich sind die Technikwissenschaften zwar in den meisten Schulen weniger präsent, die Auswirkungen technischer Entwicklungen und die Beurteilung ihrer Möglichkeiten und Grenzen betreffen aber die Gesellschaft sehr deutlich.
»Gesellschaftliche Teilhabe setzt ein solides Wissen im Rahmen der MINT-Disziplinen voraus.«
Was für die Gesellschaft allgemein gilt, dann lässt sich auch unschwer auf das einzelne Mitglied übertragen. Die gesellschaftliche Teilhabe setzt ein solides Wissen im Rahmen der MINT-Disziplinen voraus. Um sich in Bezug auf den Klimawandel, Umweltprobleme, die Gesundheit oder die Digitalisierung eine Meinung zu bilden und sie zu begründen, um im beruflichen und privaten Kontext entsprechend mitgestalten zu können, braucht es Kompetenzen auf der Grundlage dieser Fächer. Auch hier geht es nicht primär um deklaratives Faktenwissen, sondern um flexible Kenntnisse, die in einem interdisziplinären Kontext angewendet werden können. Dabei bezieht sich die Anwendung nicht nur auf eine im weitesten Sinne technische Umsetzung. Vielmehr gehört es dazu, Vorschläge, Antworten, Ergebnisse zu prüfen und zu hinterfragen, das Für und Wider angemessen zu bewerten, die Einbindung in das gesellschaftliche Umfeld mitzudenken (vgl. auch UNESCO, 2021).
Eine solide MINT-Bildung muss die spezifische Rolle der Fächer beachten und somit über das fachliche Wissen hinaus auf die Beurteilung von Situationen und ein Verständnis für den Kontext und seine Weiterentwicklung vorbereiten. Man kann es auch anders ausdrücken: Eine solche MINT-Bildung zielt auf mehr als das rein Fachliche, sondern sollte als eine umfassende Vorbereitung für weite Bereiche des alltäglichen privaten Umfelds und des beruflichen Lebens gesehen werden. Es ist hilfreich, hier gerade auch die 21st Century Skills in den Blick zu nehmen, bei denen Kreativität, kritisches Denken, Kooperation und Kommunikation zentrale Aspekte sind (OECD, 2020). Kreativität ist dabei insbesondere die Fähigkeit, neue Lösungen für komplexe Herausforderungen zu entwickeln; zum kritischen Denken gehört es, Quellen zu hinterfragen und Vorgaben eigenständig zu überprüfen; Kooperation heißt, im Team zu arbeiten und sich auch auf andere Menschen zu verlassen; Kommunikation bedeutet, das eigenes Denken und Arbeiten genauso wie das Lernen anderen mitzuteilen zu können.
Von MINT zu MINTplus
Welche Konsequenzen haben nun diese Ideen einer Bildung über die MINT-Fächer hinaus ganz konkret? Wir leben in einer Gesellschaft, die stärker denn je durch Prozesse beeinflusst ist, die auf Wissen und Erkenntnissen im Bereich von MINT basieren. Es reicht aber keinesfalls, sich auf eine rein fachliche Perspektive zu beschränken. Vielmehr gilt es, die Fächer in das gesellschaftliche Umfeld einzubetten, und dabei Kreativität, kritisches Denken, Kooperation und Kommunikation genauso wie den fachlichen Inhalt zu adressieren. Dazu reichen die vier Buchstaben MINT nicht unbedingt aus.
»Es gilt, die Fächer in das gesellschaftliche Umfeld einzubetten. Dazu reichen die vier Buchstaben MINT nicht unbedingt aus«
Im anglosächsischen Kontext wurde so aus dem dort gebräuchlichen Begriff STEM für „science, technology, engineering, mathematics“ ein STEAM, bei dem die „arts“ hinzugefügt wurden. Die grundlegende Idee wird dem US-amerikanischen Designer John Maeda zugeschrieben, der am Massachusetts Institute of Technology sowie der Rhode Island School of Design arbeitete (https://en.wikipedia.org/wiki/John_Maeda#cite_note-38). Das hinzugefügte „A“ steht für einen breiten Bereich, der die unterschiedlichen Künste genauso wie Sprache, Medien und Geisteswissenschaften umfasst und dabei im Zusammenhang mit STEM gesehen wird. Wesentlich sind allerdings weniger die Inhalte als die Zugänge zum Wissen, die problembasiert sind, innovative Ansätze fördern sollen und ein kreatives Arbeiten unterstützen. In eine ähnliche Richtung zeigt die Begriffsbildung STEM+H, die zum Teil im lateinamerikanischen Kontext genutzt wird (Cano, Bermúdez & Arango, 2021). Hier sind es die „humanidades“, um die ergänzt wird. Aber auch dabei geht es letztendlich um mehr, nämlich um die Förderung kritischen Denkens, um kollaboratives Arbeiten und um die Betrachtung des gesellschaftlichen Kontextes bei der Lösung von Problemen (vgl. auch UNESCO, 2021). Bascopé und Reiss (2021) nutzen darüber hinaus die Erweiterung STEM4S („STEM education for sustainability“). Gemeint ist damit, dass Kenntnisse und Fähigkeiten im Bereich von MINT dazu beitragen können, ein Verständnis für globale Probleme zu schaffen und Maßnahmen in der Gesellschaft zu unterstützen, die diese Herausforderungen auf sinnvolle und wissensbasierte Weise angehen. STEM4S verfolgt den Ansatz, kritisches Denken zu fördern, dabei Nachhaltigkeit in den Blick zu nehmen und den Wert der MINT-Bildung für die Gesellschaft als Ganzes zu verstehen.
»Eine gute MINT-Bildung muss eine Perspektive berücksichtigen, die mehr als den Kanon eines Fachs umfasst.«
Auch wenn die Ansätze unterschiedlich sind, so haben sie doch eine wichtige Gemeinsamkeit: Eine gute MINT-Bildung muss eine Perspektive berücksichtigen, die mehr als den Kanon eines Fachs umfasst. Fraglos baut diese Bildung auf fachlichem, disziplinärem Wissen auf. Doch eine erweiterte MINT-Bildung („MINTplus“) orientiert sich dabei an nicht unbedingt disziplinär begrenzten Problemen, eröffnet kreative Wege zu ihrer Lösung und setzt dabei auf die gemeinschaftliche Initiative. Es ist eine zentrale Komponente, dass ein möglicher Nutzen für die Gesellschaft genauso thematisiert wird wie die gesellschaftliche Verantwortung, die mit einer Lösung verbunden ist. Schließlich gilt es zu erkennen, dass es in einer Gesellschaft ganz unterschiedliche Bedürfnisse geben kann und damit die Folgen auch für Individuen durchaus unterschiedlich sein können. Es ist die Auseinandersetzung mit realen Handlungen, die eine Idee von Nutzen und Risiken vermittelt, aber auch zeigen kann, dass sie nicht immer leicht und schon gar nicht einheitlich zu bewerten sind (vgl. auch die genannten Ebenen des Lernens, OECD, 2019).
Für den Begriff MINTplus gibt es keine einfache Definition. Vielmehr gilt es, ihn zu charakterisieren, indem die Wege zu einer ganzheitlichen MINT-Bildung innerhalb der Fächer betrachtet werden. Es sind die angestrebten Kompetenzen der Schülerinnen und Schüler, die damit verbundenen Lerngelegenheiten und die spezifische Rolle der Lernenden im Unterricht, die sich zu einem Bild dessen ergänzen, was MINTplus ausmacht.
Bildung in den MINT-Fächern: Wie kann man MINTplus umsetzen?
Bildung ist eine gesellschaftliche Aufgabe, in die unterschiedliche Institutionen genauso wie die Familie oder etwa die Peers involviert sind. Sie ist nicht auf Kindheit und Jugend beschränkt, sondern wird immer stärker als lebenslang wichtige und notwendige Komponente gesehen. Dennoch kommt der Schule eine zentrale Bedeutung zu. Es ist sicherlich eine Aufgabe der Schule, die Grundlagen (nicht nur) für die MINT-Bildung bereitzustellen. Gerade weil man davon ausgehen kann, dass die Anforderungen an die junge Generation im Laufe der kommenden Jahrzehnte einem heftigen Wandel ausgesetzt sein dürften, gilt es, nach bestem Wissen und Gewissen vorbereitend zu wirken.
»Der Schule kommt eine zentrale Bedeutung zu.«
Diese Aufgabe ist nicht leicht. Die MINT-Fächer haben ein vielschichtiges Image, aber eher keines, dass eine problemfreie Auseinandersetzung erwarten lässt. Es gibt immer noch allzu viele Klischees. Die naturwissenschaftlichen Fächer Chemie und Physik werde als eher schwierig angesehen, gerade Mädchen zeigen sich häufig weniger interessiert daran (Schiepe-Tiska, Simm & Schmidtner, 2016). Die Mathematik gilt ebenfalls nicht als ein einfaches Fach und darüber hinaus als polarisierend: Man mag sie oder man mag sie nicht (Henn & Kaiser, 2001). Technik ist genauso wie Informatik nicht in allen Schulformen und Bundesländern ein Teil des Curriculums (Ständige wissenschaftliche Kommission der KMK, 2022). Über alle diese Fächer hinweg kann es als wesentliches Problem gesehen werden, dass sich ein Interesse an MINT oftmals schon sehr früh herausbildet und eine Korrektur der einmal getroffenen Einstellung zu einem späteren Zeitpunkt nicht unbedingt geschieht. In der Tendenz kann ein abnehmendes Interesse insbesondere an diesen Fächern im Laufe der Schulzeit festgestellt werden (Daniels, 2008; Gottfried, Fleming & Gottfried, 2001). In Bezug auf die Leistung in den MINT-Fächern kommt dem Interesse genauso wie der Selbstwirksamkeit allerdings eine wichtige Rolle zu (vgl. etwa die Metastudie von Grimalt-Álvaro & Couso, 2022).
Kann man den Schwierigkeiten begegnen? In den letzten Jahren hat es vielfach Ansätze dazu gegeben. Nach den ernüchternden Ergebnissen der PISA-Studie 2000, als Schülerinnen und Schüler in Deutschland in allen Bereichen, insbesondere also auch in Mathematik und den Naturwissenschaften, unter dem Durchschnitt der OECD-Staaten lagen (Baumert et al., 2001), rückte Bildung in den öffentlichen Fokus. Es wurden Bildungsstandards ausgewiesen, die nicht mehr ein Lernangebot an Schülerinnen und Schüler definierten, sondern anzustrebende Kompetenzen umfassten (vgl. für die Sekundarstufe in der jeweils neuesten Fassung Kultusministerkonferenz, 2004a; 2004b; 2004c; 2012; 2020a; 2020b; 2020c; 2022). Nicht mehr auf den Input ausgerichtete Lehrpläne sollten im Vordergrund stehen, sondern vielmehr der Output, der Umgang mit Wissen oder – anders ausgedrückt – die angestrebten und langfristig erreichten Kompetenzen von Kindern und Jugendlichen.
Auch wenn der Weg nicht einfach ist und Reformen gerade im Bereich von Schule und Unterricht immer Zeit brauchen, gibt es erste Anzeichen dafür, dass die eingeschlagene Richtung prinzipiell erfolgversprechend ist: Schülerinnen und Schüler in Deutschland zeigten bei PISA 2000 in Mathematik und den Naturwissenschaften Kompetenzen unterhalb des Durchschnitts der OECD-Staaten (Deutsches PISA-Konsortium, 2001), bei PISA 2018 lagen sie in beiden Bereichen signifikant über diesem Durchschnitt (Reiss et al., 2019). Fraglos gibt es „Luft nach oben“, denn Staaten wie beispielsweise Estland, die Niederlande oder Polen in der Mathematik bzw. Estland und Finnland in den Naturwissenschaften zeigen signifikant bessere Ergebnisse als Deutschland. Es gilt außerdem, die Maßnahmen immer wieder auf den Prüfstand zu stellen, da sich trotz der im Wesentlichen guten Ergebnisse über die Jahre ein leichter Abstieg abzeichnet. Das wurde für Deutschland gerade auch in einer Studie des Instituts für die Qualitätsentwicklung im Bildungswesen bestätigt (Stanat et al., 2022).
Die stärkere Orientierung an den gewünschten Kompetenzen von Schülerinnen und Schülern hat einen deutlichen Einfluss auf den Unterricht in den MINT-Fächern. Es sind insbesondere zwei Aspekte, die hier hervorzuheben sind. Zum einen spielen der Umgang mit Wissen und die Anwendung von Wissen – und damit dann eben eine wichtige Komponente von MINTplus – eine sehr viel prominentere Rolle als zuvor. Die Kompetenzbereiche der naturwissenschaftlichen Fächer Biologie, Chemie und Physik umfassen übereinstimmend nicht nur das Fachwissen, sondern auch die Erkenntnisgewinnung, die Kommunikation und die Bewertung (Kultusministerkonferenz 2004a; 2004b; 2004c). In der Mathematik werden inhaltsbezogene Kompetenzen, in denen sich die fachlichen Aspekte niederschlagen, von prozessbezogenen Kompetenzen unterschieden, die gezielt die aktive Auseinandersetzung mit den Inhalten im Fokus haben (Kultusministerkonferenz, 2022). Zum anderen ist die fachübergreifende Ebene gestärkt worden. In den Bildungsstandards für die Allgemeine Hochschulreife in den Naturwissenschaften wird explizit ein Beschluss der Kultusministerkonferenz aus dem Jahr 1972 angeführt, nach dem es im Unterricht der gymnasialen Oberstufe „um die Beherrschung eines fachlichen Grundlagenwissens als Voraussetzung für das Erschließen von Zusammenhängen zwischen Wissensbereichen, von Arbeitsweisen zur systematischen Beschaffung, Strukturierung und Nutzung von Informationen und Materialien, um Lernstrategien, die Selbständigkeit und Eigenverantwortlichkeit sowie Team- und Kommunikationsfähigkeit“ geht (Kultusministerkonferenz, 2020a; S. 3f.). Auf dieser Grundlage entsteht ein ganzheitliches Bild der Naturwissenschaften, das auch im Unterricht thematisiert werden soll und weitreichende Ziele verfolgt: „Naturwissenschaftliche Kompetenz leistet somit einen Beitrag zu übergreifenden Zielen wie Bildung für nachhaltige Entwicklung, Medien-, Werte-, Verbraucher-, Demokratiebildung und damit zur Allgemeinbildung“ (Kultusministerkonferenz, 2020a; S. 10.).
»Die stärkere Orientierung an den gewünschten Kompetenzen von Schüler*innen hat einen deutlichen Einfluss auf den Unterricht in den MINT-Fächern.«
An dieser Stelle soll ein Gedanke zumindest angerissen werden, der noch einmal das „learning to live together“ aufnimmt. MINTplus bedeutet keineswegs, die Fächer ausschließlich aus der Perspektive der eigenen Kultur zu sehen. Gerade der interkulturelle Zugang, der auch tradiertes Wissen umfassen sollte, sollte geeignet sein, das Verständnis für anderen Blicke auf MINT und eine Wertschätzung dafür aufzubauen. Für eine nachhaltige Entwicklung dürfte eine solche breite Akzeptanz unterschiedlicher Ansätze ein wichtiger Baustein sein (vgl. etwa Sato, Chabay & Helgeson, 2018).
»MINTplus bedeutet keineswegs, die Fächer ausschließlich aus der Perspektive der eigenen Kultur zu sehen.«
MINT-Kompetenzen und Lerngelegenheiten
Eine Definition von Weinert (2001, S. 27f.) weist Kompetenzen als komplexes Konstrukt aus. Danach sind es „die bei Individuen verfügbaren oder durch sie erlernbaren kognitiven Fähigkeiten und Fertigkeiten, um bestimmte Probleme zu lösen, sowie die damit verbundenen motivationalen, volitionalen und sozialen Bereitschaften und Fähigkeiten, um die Problemlösungen in variablen Situationen erfolgreich und verantwortungsvoll nutzen zu können“. Kurz gefasst geht es also um Anwendung von Wissen und flexibel einsetzbare Kenntnisse. Im Detail bauen Kompetenzen allerdings auf einer breiten Palette von kognitiven und nicht kognitiven Grundlagen auf.
»Es geht um Anwendung von Wissen und flexibel einsetzbare Kenntnisse.«
Was sind MINT-Kompetenzen? Offensichtlich gilt es, die allgemeine Beschreibung im Hinblick auf das Fächerspektrum zu konkretisieren. Dabei geht es immer um die fachlichen Inhalte, die in allen Bildungsstandards eine Rolle spielen (um ein paar Beispiele zu nennen: Bildungsstandards der Kultusministerkonferenz in Deutschland; National Council of Teachers of Mathematics, 2000, sowie Common Core States Standards Initiative, 2017, in den USA; Ministerio de Educación de Colombia, 2003, in Kolumbien). Zentral adressiert werden daneben und unter unterschiedlichen Überschriften die fachbezogenen Denk- und Arbeitsweisen. Es sind dies die spezifischen Prozesse des Generierens von Wissen wie etwa das induktive oder deduktive Schlussfolgern in der Mathematik, experimentelle Methoden oder die Arbeit mit Modellen in den Naturwissenschaften, die Entwicklung algorithmischer Problemlösungen in der Informatik.
»Zu einer kompetenten Problemlösung gehört auch die Übernahme von Verantwortung bei der Umsetzung der eigenen Ideen.«
Diese fachlichen und methodischen Bausteine müssen nun so kombiniert werden, dass sie für die Lösung realer und alltagsnaher Probleme nützlich sind. Ganz offensichtlich setzt das einen geeigneten Unterricht voraus. Im Sinne der unterschiedlichen Bildungsstandards gilt es also nicht nur, Inhalte und Methoden zu vermitteln, sondern Motivation und Interesse von Schülerinnen und Schülern genauso zu fördern wie ihre Fähigkeit und ihren Willen zur erfolgreichen Auseinandersetzung mit Problemen. Außerdem gehört in Anlehnung an Weinert (2001) zu einer kompetenten Problemlösung auch die Übernahme von Verantwortung bei der Umsetzung der eigenen Ideen. Damit schließt sich der Kreis zu den bereits genannten Formulierungen von OECD oder UNESCO für eine zeitgemäße Bildung.
Fasst man kurz zusammen, dann bedeutet der Erwerb von Kompetenzen im Wesentlichen, die eigenständige Auseinandersetzung mit Problemen zu lernen, Mittel und Wege zur Lösung zu kennen und diese motiviert und verantwortungsvoll anzugehen. Es gilt, dafür – und insbesondere im Kontext des Schulunterrichts – geeignete Lerngelegenheiten zu schaffen. Ganz offensichtlich liegt dabei der zentrale Fokus nicht auf dem Lernen von Fakten. Sie sind zweifellos wichtig, aber es sind mehr noch die Arbeitsweisen, über die oftmals der verständnisvolle Zugang zu den Inhalten erfolgt.
Gerade in den MINT-Fächern bietet sich ein wissenschaftsorientiertes Vorgehen an: Man beobachtet (oft auch wiederholt) ein Phänomen, man erkennt Regelmäßigkeiten und entwickelt so eine Theorie. Man prüft diese Theorie – auch anhand neuer Beispiele – und bestätigt oder verwirft sie. Das Ergebnis könnte beispielsweise ein Prototyp sein, der ggf. auch breiter anwendbar sein kann. Es sollte ein Ziel des Unterrichts sein, eine solche Arbeitsweise explizit zu machen. Sie fördert die eigene Auseinandersetzung mit der Welt, hat eine wissenschaftspropädeutische Funktion und dürfte auch geeignet sein, selbstständig Lernerfahrungen zu machen. Dabei ist es unabdingbar, altersangemessene und zugängliche Phänomene zu identifizieren und so Schülerinnen und Schüler zu eigenen Untersuchungen, Experimenten und Schlussfolgerungen genauso wie zur Diskussion der Phänomene und ihrer kritischen Reflexion anzuregen.
»Was heißt es, einen Computer zu programmieren? Welche Algorithmen bestimmen unseren Alltag? Was ist eigentlich Datenschutz?«
In den Naturwissenschaften gibt es beliebig schlichte oder aber auch komplexe Fragestellungen, die sich eignen: Schmilzt Eis unterschiedlich in einer Edelstahlschüssel bzw. einer Plastikschüssel? Was ist eigentlich der Treibhauseffekt? Wie gewinnt man Trinkwasser? Aber auch für die Mathematik ist das Szenario prinzipiell anwendbar: Ist eine Zahl immer durch 3 teilbar, wenn ihre Quersumme durch 3 teilbar ist? Wie verhalten sich die Volumina von Zylinder, Kreiskegel und Halbkugel mit gleichem Radius und gleicher Höhe? Was bedeutet „Inzidenz“? Schließlich gibt es genauso in der Informatik oder Technik Aufgaben, die auf ganz unterschiedlichem Niveau angegangen werden können: Was heißt es, einen Computer zu programmieren? Welche Algorithmen bestimmen unseren Alltag? Was ist eigentlich Datenschutz?
Lerngelegenheiten im MINT-Unterricht müssen darüber hinaus die Spezifika der Fächer auch aus einer wissenschaftstheoretischen Sicht heraus beachten. Auch hier geht es nicht primär um die Kenntnis eines Phänomens, sondern um die fachspezifische Arbeit damit. So arbeiten sowohl die Informatik als auch die Mathematik mit Verfahren, bei denen eine bestimmte Eingabe zu einer ebenso bestimmten Ausgabe führt. Die Verfahren sind in der Regel allgemein gültig, aber man kann sich etwa die Frage nach der Güte der Eingabe stellen, um die Qualität der Ausgabe zu bewerten. Die Naturwissenschaften sind experimentelle Fächer, die aus Beobachtungen darauf abgestimmte Theorien entwickeln. Solche Theorien können durchaus vorläufig sein und zu einem späteren Zeitpunkt präzisiert, erweitert oder gar korrigiert werden.
»Wenn aus den Lernenden später einmal kreativ gestaltende Menschen werden sollen, dann muss der freien Arbeit der notwendige Raum gegeben werden.«
Was bedeutet das alles für den Unterricht oder das formelle Lernen? Zunächst einmal geht es um ein aktives Lernen, das Schülerinnen und Schülern nicht nur Fakten vermittelt, sondern einen Weg hin zum Wissenserwerb und zur Wissenskonstruktion aufzeigt. Sicherlich gibt es Gelegenheiten, bei denen die direkte Instruktion das Mittel der Wahl ist. Es kann insbesondere nicht darum gehen, „das Rad ständig neu zu erfinden“. Wenn allerdings aus den heute Lernenden später einmal kreativ gestaltende Menschen werden sollen, dann muss auch der freien Arbeit der notwendige Raum gegeben werden. Darüber hinaus gilt es, geeignete Inhalte für den Zugang zum Lernen zu wählen und anzubieten. In jedem Fach ist Basiswissen notwendig, in jedem Fach gibt es unverzichtbare Grundlagen. Aber auch dieses Wissen dürfte in der Regel auf Grundlage der Beobachtung von Phänomenen entstanden sein. Diese Prozesse nachzuvollziehen ist ein wichtiger Aspekt von Unterricht. Es ist durchaus möglich, einen Alltagsbezug zu nutzen, um kreative Anwendungen zu generieren, die dann zu Basiswissen führen oder es bestätigen.
Es sei betont, dass der MINT-Unterricht selbstverständlich weder ausschließlich einfache Lerngelegenheiten bereitstellen soll noch gänzlich auf eine (zeiteffiziente) Wissensvermittlung verzichten kann. Eine Vorbereitung auf – noch unbekannte – zukünftige Anforderungen kann nicht bei trivialen Problemen stehenbleiben, sondern muss auch über die Beschäftigung mit komplexen Fragestellungen die Voraussetzungen für das selbstständige Weiterlernen schaffen. Dazu bedarf es einer soliden fachlichen Basis. Der Unterricht sollte daher den Alltagsbezug suchen, er muss aber auch Grundlagen bereitstellen. Auch kreative Anwendungen bauen letztendlich auf fachlichem Wissen auf und sollen anschlussfähig sein.
Aktives Lernen und die Voraussetzungen
Die Bereitstellung guter Lerngelegenheiten ist eine wichtige Bedingung für guten Unterricht, sie ist allerdings keine hinreichende Bedingung. Eine ganz wesentliche Rolle kommt den Lehrerinnen und Lehrern zu. Eine Synthese von Hattie (2009) aus über 800 Metastudien zum Lernen zeigte den großen Einfluss der Lehrkraft auf den erfolgreichen Kompetenzerwerb der Schülerinnen und Schüler. Eine Aktualisierung bestätigt der Variable collective teacher efficacy den höchsten Wert (https://visible-learning.org/hattie-ranking-influences-effect-sizes-learning-achievement/). Dabei handelt es sich um die gemeinsame Überzeugung der Lehrkräfte einer Institution, dass sie ihre Schülerinnen und Schüler positiv beeinflussen können.
Andere Studien sehen allerdings neben diesen eher pädagogisch-sozialen Aspekten gerade auch das fachdidaktische Wissen von Lehrkräften als wesentliche Komponente für den Erfolg von Unterricht an (Kunter et al., 2011). Auf Grundlage der Unterscheidung des Professionswissens von Lehrkräften in schulbezogenes Fachwissen, fachdidaktisches Wissen und pädagogisches Wissen (Shulman, 1986) zeigte sich in einer Begleitstudie zu PISA 2003 für das Fach Mathematik, dass fachliches Wissen zwar zentral für den Unterricht ist, allerdings erst dann richtig Wirksamkeit zeigt, wenn es durch fachdidaktisches Wissen moderiert wird.
»Eine ganz wesentliche Rolle kommt den Lehrer*innen zu.«
Man kann nicht in wenigen Worten beschreiben, was fachdidaktischen Wissen in den MINT-Fächern ausmacht. Aber es gibt spezifische Komponenten, die sich in der derzeitigen Diskussion und der praktischen Arbeit als bedeutsam erwiesen haben, auch wenn empirische Befunde dazu nicht unbedingt einheitlich sind. Natürlich sollen im Unterricht die fachlichen Kompetenzen der Schülerinnen und Schüler aufgebaut werden, sie sollen aber auch – wie oben ausgeführt – zu konstruktiven, engagierten und reflektierten Bürgerinnen und Bürgern heranwachsen (OECD, 2019). Dieses Ziel soll wiederum über ein aktives und selbstbestimmtes Lernen erreicht werden. Für die Lehrkräfte bedeutet das, entsprechende Arbeitsweisen zu nutzen, und einen problembasierten Unterricht umzusetzen, der forschendes Lernen ermöglicht. Es bedeutet aber auch, gezielte Hilfestellungen anzubieten und insbesondere fachliche Probleme und Fehlkonzepte der Schülerinnen und Schüler zu kennen.
»Für die Lehrkräfte bedeutet das, einen problembasierten Unterricht umzusetzen, der forschendes Lernen ermöglicht.«
Die konkrete Umsetzung in den MINT-Fächern kann sich durchaus an den spezifischen Arbeitsweisen der Fächer orientieren. So werden etwa im Rahmen von PISA 2015 drei Teilkompetenzen naturwissenschaftlicher Grundbildung unterschieden, nämlich das Erklären naturwissenschaftlicher Phänomene, die Bewertung naturwissenschaftlicher Forschung und das Planen von Untersuchungen sowie die Interpretation von Daten und Evidenz aus naturwissenschaftlicher Sicht (OECD, 2016). Ganz offensichtlich spiegeln sie Aktivitäten wider, die zentrale Bausteine naturwissenschaftlichen Arbeitens sind. In der Mathematik ist die Argumentation eine grundlegende Arbeitsweise. Sie wird genutzt, um Problemlösungen zu formulieren, den Lösungsweg zu beschreiben und die Lösung zu interpretieren (OECD, 2019). Darüber hinaus basiert die wissenschaftliche Arbeit in den MINT-Fächern zumeist auf Problemen, für die eine spezielle oder auch allgemeine Lösung gesucht wird. Fachdidaktisches Wissen ist wichtig, um für den Unterricht geeignete Probleme nicht nur zu identifizieren, sondern auch auf unterschiedlichen Kompetenzniveaus zu operationalisieren.
Selbstverständlich geht es nicht darum, alle Schülerinnen und Schüler auf den Einstieg in die aktive MINT-Forschung oder allgemein einen MINT-Beruf vorzubereiten. Eine gute Propädeutik ist vielmehr generell die Basis für ein Verständnis wissenschaftlicher Arbeitsweisen und damit ein Verständnis der komplexen und sich stetig wandelnden Welt um uns herum. Was dabei im Detail bedeutsam sein wird, ist zumeist nicht absehbar. Um ein konkretes Beispiel zu geben: Die Methode der Polymerase-Kettenreaktion (PCR) wurde 1983 durch den Biochemiker Kary Mullis eingeführt, er erhielt dafür 1993 den Nobelpreis für Chemie. Nicht nur der Begriff selbst ist inzwischen als Testverfahren etwa für die Belastung des Körpers mit bestimmten Viren der breiten Öffentlichkeit bekannt, auch das eigentliche Verfahren wird heute in Schullaboren durchgeführt.
»Eine gute Propädeutik ist die Basis für ein Verständnis wissenschaftlicher Arbeitsweisen und damit der komplexen und sich stetig wandelnden Welt um uns herum.«
MINTplus : Es gilt, die Bausteine zu verbinden
MINTplus ist ein umfassendes Konzept, das sich nicht in den MINT-Fächern erschöpft, sondern Lernen und Lehren mit dem Blick auf zukünftige Anforderungen zu gestalten versucht. MINTplus braucht entsprechend für die Umsetzung eine kollektive Anstrengung verschiedener Akteure und Akteurinnen. Das Ziel ist es, Schülerinnen und Schüler mit einer ganzheitlichen Sichtweise auf die MINT-Fächer vertraut zu machen, sie zu einer aktiven und reflektierten Teilhabe an MINT-Kompetenzen zu motivieren. Das kann gelingen und es muss insbesondere auch im regulären Unterricht der Schulen gelingen. Ein solcher Unterricht, der auf MINTplus ausgerichtet ist, vermittelt ein umfassendes Bild von Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik und ist geeignet, die Rolle dieser Disziplinen für die Welt des 21. Jahrhunderts besser zu erkennen und zu verstehen.
Autorinnen
Kristina Reiss studierte an der Universität Heidelberg und promovierte dort in Fach Mathematik. Sie arbeitete an mehreren Universitäten in Deutschland als Professorin für Didaktik der Mathematik. Seit 2009 ist sie Mitglied der Technischen Universität München. Im Jahr 2021 ging sie in den Ruhestand und wurde Emerita der Exzellenz an der TUM. Kristina Reiss ist ehemalige Dekanin der TUM School of Education, der Fakultät für das Lehramt an Gymnasien. Sie war verantwortlich für die PISA-Studie in Deutschland und leitete diese Tests. Ihr Hauptforschungsinteresse gilt der Kompetenzentwicklung in den MINT-Fächern.
Barbara Filtzinger studierte an der Ludwig-Maximilians-Universität München Pädagogik und Geschichte. Sie ist Leiterin des Arbeitsgebiets Bildung der Siemens Stiftung und verantwortet das Bildungsengagement in den Fokusregionen Lateinamerika, Afrika und Deutschland. Zentrale Aufgabe ist hier die zeitgemäße naturwissenschaftlich-technische Bildung vom Kindergarten bis zum Schulabschluss. Zuvor war sie in der Siemens AG verantwortlich für Corporate Citizenship und maßgeblich an der Gründung der Stiftung beteiligt. Außerdem ist sie Mitglied in mehreren deutschen und internationalen MINT-Initiativen.
Literatur
-
Bascopé, M. & Reiss, K. (2021)
Place-based STEM education for sustainability: A path towards socio-ecological resilience. Sustainability 2021, 13, 8414. -
Cano, L., Bermúdez, D. M., & Arango, V. D. (2021)
Experiencias STEM+H en instituciones educativas de Medellín: factores que prevalecen en su implementación. Sociología y Tecnociencia, 11, Extra_1, 1-21. -
Common Core State Standards Initiative (CCSSI) (2010)
Common Core State Standards for Mathematics. -
Deutsches PISA-Konsortium (2001)
PISA 2000. Basiskompetenzen von Schülerinnen und Schülern im internationalen Vergleich. Opladen: Leske & Budrich. -
Daniels, (2008)
Entwicklung schulischer Interessen im Jugendalter. Münster: Waxmann. -
Gottfried, A. E., Fleming, J. S., & Gottfried, A. W. (2001)
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MINTplus . Basis einer Bildung im
21. Jahrhundert
Hier können Sie den Artikel von Prof. Dr. Kristina Reiss und Dr. Barbara Filtzinger herunterladen.